Dipl.-Ing. Paul Schwab (1982)

Schädigungen am Ökosystem Wald durch Weidevieh

Vortrag über die Ergebnisse von Untersuchungen im Rahmen des Forschungs- und Ver­suchsprojektes Alpine Umwelt des Fonds für Umweltstudien (FUST) Bonn bei der Forstverwaltung Achental der Österreichischen Bundesforste in Achenkirch/Tirol.

)Historie3-WaldweideWer die geschichtliche Entwicklung der charakteristischen Kulturland­ schaften des europäischen Alpenraumes kennt, sich mit Einzelheiten aber nicht näher befaßt hat, wird sich darüber wundern, daß ein jahrhunderte­ alter Wirtschaftszweig, wie die Waldweide es ist, von einem wesentli­chen Element der Landschaftsgestaltung und Landschaftspflege heute gar nicht selten zur Umweltbelastung und Landschaftsgefährdung werden konnte.

Da die zunehmende Problematik der Waldweide, vor allem auch in Ver­ bindung mit der Almwirtschaft als Zweig der Landwirtschaft, nicht sel­ten ähnlich traditions- und emotionsbelastet gesehen und behandelt wird, wie etwa die Jagd im forstwirtschaftlichen Bereich, sollten wir uns streng um Sachlichkeit und Objektivität bemühen, um das Problem zeitgemäßen Verbesserungen und Lösungen näher zu bringen.

Gruppenegoismus, Einseitigkeit und die Verdrängung von Tatsachen waren und sind nämlich, wie eh und je, auch heute die größten Umweltgefahren und ihnen nachzugeben, ist auf Dauer auch die schlechteste Politik.

Nach diesen Vorbemerkungen will ich zum eigentlichen Thema meines Beitrages kommen, nämlich auf die Schädigungen am Ökosystem Wald durch Weidevieh.

Waldweide-SchwabDie Österreichischen Bundesforste (ÖBF) sind der von Weiderechten am stärksten betroffene Forstbetrieb Österreichs und daher schon seit Jahr­zehnten bemüht, schadenskritische Waldgebiete, vor allem im Gebirge, vor drohenden Gefahren zu bewahren.

So wie man im Bereich der Jagdwirtschaft den zunehmenden oder heute auch nur stärker ins Gewicht fallenden Wildschäden durch Reduktion überhöhter Schalenwildbestände zu begegnen trachtet, so suchte und sucht man Forstschäden durch Weidevieh, vor allem in den Almregionen, durch eine Trennung'von Wald und Weide bzw. durch die Ablöse entbehr­licher Weiderechte zu verhindern oder wenigstens zu mindern.

Mangels genauer Kenntnis der Auswirkungen unterschiedlicher Weidefor­men und Weideintensität auf die Land- und Forstwirtschaft, aber auch auf die Weidelandschaft und damit wegen des Fehlens objektiver Ver­handlungsgrundlagen und konkreter Entscheidungshilfen blieben die Erfol­ge dieser Bemühungen um zeitgemäße Lösungen der Weideprobleme bisher aber unbefriedigend.

Um diesen Mangel zu verringern, wurden bei der Forstverwaltung Achen­tal der Österreichischen Bundesforste im Rahmen des Forschungs- und Versuchs­projektes Achenkirch des Fonds für Umweltstudien (FUST-Tirol) Untersuchun­gen über die Auswirkungen der Viehweide auf das Ökosystem Wald, aber auch auf die Dauerweideflächen selbst durchgeführt.

Da der Weideverbiß an Forstpflanzen vom Wildverbiß nur bei systemati­scher genauer Beobachtung und laufender Kontrolle zu unterscheiden ist, wurden die Weideschäden an typischen Beispielen in besonderen Ver­suchsanordnungen seit 1978 im Gebiet der Stalln- und Fondseitenalm im Bächental, aber auch in anderen speziellen Fällen der Region Achensee erhoben und in Bildern dokumentarisch festgehalten.

Das Gebiet der Stalln- und Fondseitenalm liegt im westlichen Karwen- delgebirge in Nordtirol, umfaßt Lichtweideflächen im Ausmaß von zu­ sammen rund 215 ha und Waldweideflächen von insgesamt etwa 97 ha. Dieses große, in den oberen Hanglagen sehr steile Almgebiet in einer Höhenlage zwischen 1100 und 1800 m weist einschließlich des vereinzel­ten Baumbestandes auf Almflächen eine Bewaldung von nur rund 30 % auf. Der Niederschlag für Bächental beträgt im langjährigen Schnitt mehr als 1800 mm. Die Erosionsgefahr durch Niederschlag, Vernäßung und Lawi­nen ist daher groß, was die zahlreichen Murabgänge auf den Almflächen und ihre örtliche Versteinung deutlich anzeigen.

Die Untersuchung der Weideschäden auf Stalln und ihre Kontrolle erfolg­te in einer Koppelfläche von rd. 17 ha. Davon sind höchstens 1/3 Alm­lichte und der Rest Wald.
Beweidet wurde diese Koppel 1978 in der Niederlegerweidezeit vom 7. Juni bis 8. Juli mit 63 Jungrindern von 1 bis 2 Jahren, 31 Kälbern, sowie nach der Alpung auf dem Hochleger nochmals vom 1. September bis 4. Oktober bei abgelegtem Koppelzaun mit dem gesamten Vieh der Stallnalm. Das waren 99 Kühe und 94 Jungrinder. Während der Hochle­gerweidezeit wurde auf den Versuchsflächen keine Viehweide ausgeübt. 1978 war wegen späten Schneeabganges und naßkalter Witterung zum Almauftrieb wenig Gras vorhanden und es trat schon nach kurzer Zeit Weidemangel auf. Verstärkt wurde die Futternot noch, weil das Tag und Nacht weidende Jungvieh in der Koppel die aufgeweichte Grasnarbe durch Vertritt stark beschädigte und auf den am besten mit Gras bestan­denen Verebnungen das Futter außerdem durch Lagern und Dung zusätz­lich verdarb.

Unter diesen Umständen steigerte sich der Weideverbiß an Waldgräsern, Sträuchern und Forstpflanzen auf dieser Fläche schon bald nach dem Almauftrieb ungewöhnlich stark.

Zu Ende der vierwöchigen Weidezeit waren nach den vorgenommenen Er­hebungen auf der Versuchsfläche Stalln von den durch das Weidevieh er­reichbaren Blättern, Keimlingen, Knospen und jungen Trieben verbissen oder zertreten:

Tabelle-Schwab-1982

An der Fichte beschränkte sich der Viehverbiß weitgehend und typisch auf die noch nicht verholzten letztjährigen Triebe.
Bei der Weißtanne trat der Schaden hauptsächlich durch Mitnehmen der Keimlinge und kleiner ein- bis höchstens zweijähriger Pflanzen beim Abrupfen des Grases sowie durch Vertritt und Lagern des Viehs ein, wäh­rend selektiver Verbiß an Weißtannenpflanzen durch Rinder nirgends festgestellt wurde.

Bei den Laubhölzern wurden zuerst Blätter nur vereinzelt, mit zuneh­mendem Grasmangel aber alle erreichbaren Blätter sowie immer stärker auch Knospen, Jungtriebe und Zweige abgefressen. Laubhölzer können auf intensiv beweideten Flächen in den Bestand offenbar nur hineinwach­sen, wenn ihr Leittrieb durch eine Reihe günstiger Umstände vom Vieh­verbiß durch mehrere Jahre hindurch verschont bleibt.

Die Himbeer- und Pestwurzblätter wurden erst mit zunehmendem Gras­mangel vom Vieh abgeweidet.
Nach 6-wöchiger Weidepause während der Alpung am Hochleger zeigten die Laubhölzer und die Himbeersträucher eine erstaunliche Regeneration an Blättern und Zweigen.

Mit weiterer Verknappung des Futters gegen Ende der Almzeit wurden auch Teile der Stengel der Himbeere gefressen. Das gleiche gilt für das Kreuzkraut.

Weitere Erhebungen wurden gleichzeitig mit Stalln auf einer Fläche im Weidegebiet Fondseitenalm durchgeführt.
1978 wurde der Niederleger der Fondseitenalm mit Ausnahme der letzten etwa 3 Wochen der Weidezeit im Koppelbetrieb bewirtschaftet. Ais Ver­suchsfläche diente ein Teil einer Almkoppel im Ausmaß von etwa 13 ha, wovon rund 6 ha auf die Almfläche entfielen.

Waldweide-Schwab02Diese Koppel wurde mit 43 Kühen erst ab 24. Juni, zunächst nur durch 18 Tage beweidet. Da zu dieser Zeit bereits reichlich Gras auf der Alm­fläche vorhanden war, blieb der Verbiß an Forstpflanzen während der Erstbeweidung dieser Koppel erstaunlich gering und in der Regel auf Blattverbiß an Bergahorn, Buche und Salweide beschränkt. Mit Verknap­pung des Weidegrases bei ungekoppeltem Weidebetrieb in den letzten 3 Wochen der Almzeit wurde auch hier der Blatt-, Knospen- und Zweige­verbiß an den Laubhölzern immer stärker und steigerte sich an einzelnen Laubholzstämmchen bis zum Totalverbiß.

1979 konnte diese Versuchsfläche nach einem längeren Rechtsstreit vor der Agrarbehörde durch einen Kompromiß mit den Servitutsweideberech­tigten gegen Weidevieh eingezäunt werden. Die Laubhölzer entwickeln sich seither, nur mehr dem Wildverbiß ausgesetzt, ohne Behinderung.

Ein weiterer Nachweis gravierender Schäden am Ökosystem Wald durch Weidevieh wurde auch dadurch erbracht, daß an die eben beschriebenen Versuchsflächen unmittelbar angrenzend, Untersuchungen auch in einer durch Weidezaun geschützten Fläche des Weidegebietes der Stallnalm durchgeführt wurden und dort kein schädlicher Verbiß an Forstpflanzen während des Beobachtungszeitraumes vom 7. Juni bis 4. Oktober festge­stellt werden konnte.

Die Waldbilder im Weidezaun zeigen den freudigen Zuwachs der Laubhöl­zer beim Bergahorn mit bis zu 70 cm langen Jahrestrieben und von ein­zelnen Blättern abgesehen, keinen erkennbaren Verbiß.

Ein überzeugendes Beispiel für die nachteiligen Auswirkungen der Wald­ weide auf die Bestandesverjüngung und -erneuerung bietet auch die 1966 erfolgte Abzäunung eines Waldstreifens oberhalb der Böschung der Achentalbundesstraße im Alm- und Heimweidegebiet Kögel am Nordost­ufer des Achensees in Achenkirch.

Nach dem Schutz vor der Viehweide hat sich der Mischwald, bestehend aus Fichte, Weißkiefer, Lärche und einzelnen Laubhölzern durch Natur­verjüngung standortgemäß erneuert und der Jungbestand wies 1978 be­reits Baumhöhen bis zu 4 m auf, während auf der beweideten Fläche Na­turverjüngung nur einzeln aufkommt und durch den Weideverbiß in sei­nem Wuchs stark behindert ist, solange die Stämmchen dem Maul des Weideviehes nicht entwachsen sind. Heute sind die Bäume auf der ge­schützten Fläche bereits bis zu 6 Meter hoch.

Das Weidegebiet Kögl wird bei einer Fläche von rund 375 ha, davon rund 24 ha reine Almweidefläche, seit der Zäunung im Durchschnitt mit etwa 130 Rindern in der Zeit von Anfang Juni bis Anfang Oktober beweidet. Daß intensive Viehweide in Extremfällen innerhalb weniger Tage zu schweren Forstschäden führen kann, hat sich in einem Fall unbefugter Weideausübung im Weidegebiet der Tiefenbachalm im Bächental gezeigt. In der Zeit zwischen dem 7. und 15. Juli 1978 wurde dort nach eigenmächti­ger Öffnung des seit mehreren Jahren bestehenden Weidezaunes durch 20 Rinder eine Kultur- bzw. Schonungsfläche von rund 2,5 ha beweidet. Der von der Forstverwaltung am 16. Juli erhobene und in einem Verwaltungs­strafverfahren durch Sachverständigengutachten bestätigte Weideschaden betrug nach 9 Tagen Weidegang auf dieser Fläche 450 durch Viehtritt und Lagern beschädigte Stämmchen. Der geleistete Schadenersatz für den durch Weidevieh verursachten Pflanzenausfall, Zuwachs- und Wert­verlust betrug in diesem Fall 6.474.- öS (entspricht ca. 1.000.- € im Jahr 2016). Bei der Schadensbewertung wurden Schäden an der durch starke Niederschläge aufgeweichten Bodennarbe und Rindenverletzungen an den Wurzeln und Wurzelanläufen einiger älterer Bäume innerhalb der Einzäunung, mit ihren Folgen in bezug auf Zuwachsverlust und Wertminderung durch Rot­fäule, nicht in Rechnung gestellt.

Die Untersuchung der Auswirkungen der Viehweide auf den Wald führte, wie durch zahlreiche Bilder nachgewiesen ist, zu folgenden wesentlichen Ergebnissen:

  • Die Viehweide im Wald verursacht in jedem Fall Schäden.
  • Sie bestehen im Mitnehmen von Forstsämlingen beim Abrupfen des Weidegrases durch das Vieh,
  • aber auch im Verbiß von Blättern, Knospen und Jungtrieben der Forst­pflanzen,
  • oder in der Schädigung der Jungpflanzen durch Viehvertritt, Scheuern und Lagern bzw. in unterschiedlichen Kombinationen dieser Schäden.

Das Ausgrasen der Keimlinge und Sämlinge be- oder verhindert die Na­turverjüngung der Waldbestände in standortgemäßer Holzartenmischung, d. h. sie fördert die Holzartenverarmung, im Extremfall bis zum Reinbe­ stand jener Holzart, die gegen die Waldweide am widerstandsfähigsten ist. Im Karwendel ist das, wie in vielen anderen Regionen der nördlichen Kalkalpen auch, meist die Fichte.

Holzartenarme Waldbestände aber gefährden die Nachhaltigkeit hoher Holzzuwachsleistungen durch Bodenverschlechterung und die Schutzwir­kung des Waldes, weil sie etwa durch Windwurf, Schneebruch und Schad­insekten oder Dürre selbst in ihrem Bestand gefährdet sind.

Der Weideverbiß führt, ähnlich wie der Wildverbiß, je nach Verbißart und Verbißgrad zu mehr oder weniger starken Zuwachsverlusten und Form­mängeln, bei wiederholtem starkem Verbiß der Grünmasse und Zweige im Extremfall auch zum Absterben der geschädigten Pflanzen durch Vertrocknung.

Da das Weidevieh beim Verbiß die Laubhölzer den Nadelhölzern vorzieht, trägt auch er zur Bestandesentmischung mit allen waldbaulichen Gefähr­dungen und betriebswirtschaftlichen Verlusten bei.

Der stärkste Weideviehverbiß war auf der ungeschützten Versuchsfläche Stalln Anfang Juli, auf der Versuchsfläche Fondseiten gegen Ende der Koppelbeweidung ab Mitte September und insgesamt zum Ende der Almzeit festzustellen.

Alle Verbißspitzen an Waldpflanzen fielen demnach mit ausgeprägtem Grasmangel auf den Lichtweideflächen zusammen.
Schwere Schäden wurden aber auch durch den Viehtritt festgestellt. Der Viehtritt führt zur Beschädigung oder Vernichtung von Sämlingen und Jungpflanzen, zu Wurzelverletzungen mit Folgeschäden durch Pilzbefall und zur Schädigung, im Extremfall zur Zerstörung der Bodennarbe, wo­ mit Ansatzpunkte für die Erosion durch Wasser, Frost und Wind entste­hen. Außerdem führt intensiver Weidegang zu Bodenverdichtung, die wiederum die Naturverjüngung des Waldes erschwert und das Rückhalte­vermögen für Niederschlagswässer verringert.

Besonders groß waren die Viehtritt- und Lagerschäden bei Tag- und Nachtweide, während sie bei beschränkter Weidezeit am Morgen und Abend wesentlich geringer waren, auch dann, wenn nasse Böden die Trittschäden begünstigen.

Die Wildverbißschäden blieben und bleiben, wie die Versuchsfläche mit Weidezaun beweist und weitere Kontrollen bis heute bestätigen, in die­sem Gebiet ohne praktische Bedeutung.
Für die Versuchsfläche wird ein Anfangssommerbestand von 4 Stück Rotwild und etwa 2–3 Stück Rehwild pro 100 ha geschätzt. Gamswild wurde auf den Versuchsflächen während des Beobachtungszeitraumes we­der gesehen noch gespürt.

Ein Schutzanstrich oder Spritzung mit anerkannten Präparaten gegen Wildverbiß hat sich bei normaler Weideintensität auch gegen Weidevieh­verbiß als wirksam erwiesen.

Die Untersuchungsergebnisse beweisen nicht nur, daß die Viehweide Schäden am Ökosystem Wald verursacht, sondern auch, daß sich bei zu­nehmender Weidebelastung, wie sie in den Weidegebieten der Stalln- Waldweide-Schafe-Schwabund Fondseitenalm, aber auch auf vielen anderen Almen im Karwendel heute gegeben ist, die Viehweide vom Faktor der Landschaftspflege zu einem solchen der Landschaftsgefährdung zu verkehren droht; nicht nur für den an die Almen angrenzenden Wald, sondern auch für die Dauerweide- und Almflächen selbst. Gehäufte Murabgänge und Hangrutsche sollten in sol­chen Fällen Warnsignale sein.

Da es zur Verringerung oder Verhinderung einer Landschaftsgefährdung bzw. Umweltschäden wichtig ist, sich über die Gründe klar zu werden, die zu den Schäden geführt haben oder zu führen drohen, seien einige dieser Gründe stichwortartig aufgezählt:

Die Forstaufschließung durch Straßen hat die volkswirtschaftlichen Nut­zungsmöglichkeiten dieser entlegenen unbesiedelten Wald- und Almgebie­te wesentlich verbessert. Sie hat die Intensivierung der Forst- und Almwirtschaft, damit aber auch eine verschärfte Konkurrenzierung dieser eng miteinander verflochtenen Wirtschaftszweige, insgesamt aber auch eine erhöhte Umweltbelastung zur Folge gehabt.

Die im vorigen Jahrhundert regulierten Weidegräser werden heute dank der guten Erschließung des Bächentales durch Forststraßen in vielen Fäl­len wieder weitgehend oder voll ausgenutzt; oftmals durch die rechtlich umstrittene Aufnahme von Lehnvieh.

Auf die Almen des Bächentals wurden in den letzten 3 Jahren jeweils mehr als 2.100 Rinder aufgetrieben. Das war nicht immer so.
Aufgrund der gegenüber der Zeit der Regulierung der Grasrechte stark angestiegenen Rindergewichte und der mehr als verdoppelten Milchlei­stung ist der Futterbedarf der heutigen Rinderrassen im Durchschnitt wesentlich höher und die Trittschäden der jetzt meist um 600 kg wiegen­ den Kühe sind natürlich bedeutend größer, als die zur Zeit der Regulie­rung vielleicht 400 kg schweren Kühe. Das schwere Rindvieh von heute kann, im Gegensatz zu den leichten Rassen von früher, Steillagen und Naßstellen der Alm- und Dauerweideflächen wegen der Gefahr des Absturzes oder Steckenbleibens nicht mehr begehen oder beweiden. Dies um so mehr, als es an Personal fehlt, um das Weidevieh, wie früher üblich, beim Weidegang in gefährlichem Gebiet dauernd zu hüten.

Die regulierten Gräser sind daher bei chronischem Weidemangel entspre­chend den eingetretenen Veränderungen hinsichtlich der Viehgewichte, der Milchleistung und der beschränkt nutzbaren Lichtweideflächen angemessen zu reduzieren. Dort, wo die Produktionsfähigkeit einer Weide­landschaft überfordert ist, hilft es der Weidewirtschaft auch nicht mehr, wenn man die Waldweide verstärkt, sondern man gefährdet nur den Be­stand des Waldes und auf Dauer auch den Bestand produktiver Almflächen.

Der höhere Futterbedarf des schwereren Viehs mit höherer Milchleistung wird von vielen Bauern bestritten. Andererseits wird von den Weidebe­rechtigten aber auch argumentiert, daß dieser Futtermehrbedarf heute durch Verabreichung von Kraftfutter ausgeglichen wird.

Es ist in Zeiten einer fast permanenten Milchschwemme und großer Viehabsatzschwierigkeiten unverständlich, daß Alm- und Weidegebiete mit einem Viehauftrieb bis an die Grenze der Landschaftszerstörung überlastet und auch in solchen Fällen die Alpungsprämien gewährt wer­den, während in anderen, vielleicht weniger gut erschlossenen Regionen Almen verwildern, weil sie überhaupt nicht oder nicht intensiv genug ge­nutzt und gepflegt werden.

Hier ausgleichend zu planen und einzugreifen, müßte vornehmste Aufga­be der Alpinspektionen und der Agrarbehörde sein, um eine bessere Ver­teilung der Weidenutzung auf Landesebene zu erreichen.

Der derzeit meist kostenbedingte Personalmangel in der Almwirtschaft hat auch zur Folge, daß notwendige Pflegemaßnahmen, wie Absteinen, Schwenden, Entwässern, Unkrautbekämpfung, Düngung und Mahdheuge­winnung im Gegensatz zu früher unterlassen werden, obwohl sie bei der Festsetzung der bedeckbaren Gräser in der Regulierungsurkunde oder in den Wirtschaftsplänen kalkuliert bzw. vorgeschrieben wurden.

Auf die Einhaltung der notwendigen Pflegemaßnahmen zur Sicherung nachhaltig guter Ertragsleistungen der Dauerweideflächen müßte von der Agrarbehörde ebenso gedrängt werden, wie auf die der ungehinderten Ausübungsmöglichkeit der Servitutswaldweide im urkundlich festgelegten Umfang. Das geschieht aus Gründen politischer Opportunität in vielen Fällen leider nicht.

Es liegt die Befürchtung nahe, daß mangelhafte Pflege und Überbesto- ßung mit Weidevieh mit auch Ursache für die Häufung von Plaikenbil- dung, Murabgängen und Hangrutschen auf Almflächen in den letzten Jahren sein könnte.

Bei aller entschiedenen Ablehnung der krassen materiellen und gesell­schaftspolitischen Benachteiligungen der Landwirtschaft, vor allem der Bergbauern in Zeiten wie diesen, muß doch gefordert werden, daß der Forstwirtschaft zusätzliche Beschränkungen und Opfer zugunsten der Weidewirtschaft nur dann zugemutet werden, wenn auf den zur Verfü­gung stehenden Eigen- und Dauerweideflächen durch ordentliche Pflege die normale Ertragsleistung gesichert und der Wald durch ausgeweitete Weidebelastung in seinem Bestand und damit in seiner Schutzwirkung für die Landschaft nicht gefährdet wird.

Beim Almauftrieb und -abtrieb hält man sich oft mehr an traditionelle Los­tage, als an das schon oder noch vorhandene Weideangebot, das witte­rungsbedingt sehr unterschiedlich sein kann. Ein zu früher Almauftrieb oder zu später -abtrieb führt, wie die Untersuchungen gezeigt haben, zu zusätzlichen und vermeidbaren Schäden am Wald und auch auf den Dau­erweideflächen.

Die nachgewiesenen Schäden übertriebener Viehweide und die Gründe, die fallweise zur gefährlichen Überbelastung der Weidelandschaft durch sie schon geführt haben, bieten auch den besten Anhalt für erfolgver­sprechende Maßnahmen zur Entschärfung dieses Problems im Wege ver­antwortungsbewußter Kompromisse zwischen den betroffenen forst- und almwirtschaftlichen Partnern unter Berücksichtigung des notwendigen Umweltschutzes.

Dabei fiele der Agrarbehörde als objektiver, amtlicher Schiedinstanz eine wesentliche Vermittlerrolle zu, der sie sachlich, zumindest in der unter­suchten Region, bisher leider wenig gerecht werden konnte. Die Aufhe­bung zahlreicher Erstentscheidungen der Agrarbehörde durch höhere oder höchste Rechtsinstanzen berechtigt zu dieser Feststellung. Es fehlt dabei oft an der Bereitschaft, Realitäten sachlich zu erkennen oder auch nur anzuerkennen und daraus die logischen Konsequenzen zu ziehen. Nicht selten muß bei den agrarbehördlichen Entscheidungen sogar die Miß­achtung geltender forstrechtlicher Bestimmungen beklagt werden. Trotzdem sind optimale Kompromisse in Form der Trennung von Wald und Weide zwischen den unmittelbar betroffenen Partnern aus starken Sachzwängen heraus und im Sinne des Landschafts- und Naturschutzes immer wieder erzielt worden und haben sich bewährt.

Die Ablöse von Weiderechten in Grund und Boden ist in der Regel nur dann möglich, wenn bei der Kalkulation der Futterbedeckung der höhere Futterbedarf der heutigen Rinderrassen und bei der Berechnung des Fut­terertrages der Eigenweideflächen ein guter Pflegezustand und die kli­matisch tatsächlich mögliche durchschnittliche Weidezeit unterstellt werden. Wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind, stellt die Trennung von Wald und Weide durch Ablöse der Weiderechte in Grund und Boden und seine Umwandlung in Dauerweideflächen die erfolgversprechendste Lösung der Waldprobleme dar. Sie ermöglicht beiden Wirtschaftspartnern eine unabhängige, intensive und fachgerechte Nutzung ihrer Betriebssub­stanz.

Für die Forstwirtschaft bedeutet die Weidefreistellung

  • die Vermeidung der Weideschäden im Wald,
  • die Verbesserung der Waldbestandserneuerung durch Naturverjüngung in standortsgemäßen Holzartenmischungen,
  • die Verkürzung des Verjüngungszeitraumes,
  • eine Steigerung des Holzzuwachses,
  • eine Werterhöhung durch Verringerung der Formmängel,
  • den Wegfall verschiedener Schutzmaßnahmen gegen Weideschäden,
  • dichtere Waldbestände und damit die Verbesserung der Produktionskraft der Waldbestände durch Erhö­hung ihrer Standsicherheit und Verringerung ihrer Schadensanfälligkeit, aber auch
  • die Erhöhung ihrer Schutzwirkung gegen Hochwasser, Lawi­nen, Erosion sowie Wind- und Klimaextreme.

Für die Almwirtschaft bietet die Konzentration der Weideflächen den Vorteil, diese intensiv und übersichtlich bewirtschaften und nutzen zu können sowie bessere Ergebnisse zu erzielen, vor allem durch Möglich­keiten der

  • Ertragssteigerung,
  • Verbesserung der Futterqualität,
  • besseren Futterverwertung,
  • schonenderen Nutzung der Weideflächen,
  • Erhöhung der Milch- und Fleischleistung des Weideviehs,
  • Verbesserung der Almprodukte,
  • Beschränkung des Schadensrisikos und Personaleinsparungen.

Die Trennung von Wald und Weide liegt daher in jedem Fall im Interesse sowohl der beiden betroffenen Wirtschaftspartner, als auch im öffentli­ chen Interesse der Landschaftspflege und des Naturschutzes.
Um die zeitgemäß notwendigen Anpassungen und Neuordnungen der Wei­ denutzung an geänderte Verhältnisse auf breiter Basis rascher vorantrei­ ben zu können, wären als Entscheidungshilfen mehr sachlich überzeugen­ de Detailkenntnisse nötig.

Die Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege ist sicher dafür prädestiniert, wissenschaftliche Untersuchungen über die Grundlagen der Viehweide und ihre Auswirkungen auf die Landschaft weit über jenen Rahmen hinaus sachlich durchzuführen und kompetent neutral zu vertre­ten, als das den betroffenen Betrieben oder einem Forschungsprojekt mit begrenzten praktischen Zielsetzungen und beschränkten personellen und technischen Mitteln möglich ist.

Auf Dauer befriedigende Lösungen für zeitgemäße Umweitprobleme – die Waldweide ist ein Umweltproblem von vielen in unserer Zeit – werden von allen Betroffenen und Beteiligten sicher um so leichter gefunden und in die Praxis umgesetzt werden können, je mehr wir über die naturge­setzlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge mit ihr wissen.